Politisch-religiösen „Zündstoff" elegant
umschifft
RÜLZHEIM: Kirchenchor St. Mauritius erntet mit „Friedensmesse" frenetischen Applaus – Textkürz-ungen entschärfen Libretto
Mehr als nur gut besucht war die St. Mauritiuskirche in Rülzheim am Samstagabend. Kein Platz mehr im Schiff, nicht auf der Empore und auch die neben den
Kirchenbänken zusätzlich bereitgestellten Stühle waren bald belegt. Das ist umso erstaunlicher stand doch weder Gospel noch Schlager oder Musical auf dem Programm des katholischen Kirchenchors,
sondern eine Aufführung zeitgenössischer Musik. Karl Jenkins‘ „The armed Man – a mass for peace", eine musikalische Messe mit politischer Botschaft und provokativem Gehalt, feierte mindestens
südpfalzweit vor großem Publikum Premiere.
Mit diesem Stück aus der Feder des weltweit wohl am häufigsten gespielten Komponisten von so genannter E-Musik, Karl Jenkins, hatte Chorleiter Heinz Kern eine für
die Rülzheimer Laien nicht gerade einfache Aufgabe gestellt. Nicht zuletzt deshalb hatte sich der Kirchenchor St. Mauritius mit seinen rund 50 Sängern um rund ein Drittel mit Gastsängern und
Solisten verstärkt, darunter die Sopranistin Sabine Deutsch und der Tenor Helmut Weber. Überdies wurden prominente Musiker engagiert. Dazu zählten zuvörderst die fünf Mitglieder des
Rennquintetts, die den Abend mit einer musikalischen Rundreise von Bach über Buxtehude bis zu Grieg und Sibelius eröffneten, um dann aber zusammen mit den Flötistinnen Yvonne Werling, Miriam
Zampella, dem Keyboarder Ralf Roth, dem Bassisten Alex Felz und dem bekannten Schlagzeuger Colin Jamieson zusammen zurück ins Glied zu treten und gemeinsam das Orchester zu bilden.
Mit dem soldatischen Schritten nachempfundenen Einmarsch der Sänger begann der später frenetisch umjubelte perkussive Konzertabend in der mit poppigen Farben
ausgeleuchteten Kirche. Trommeln und Flöten riefen im 12/8-Takt musikalisch zu den Waffen, um schließlich mit Frauen und Männerstimmen in einem poly-phonen Chorsatz zu enden. Zwar wird Jenkins
Friedensmesse in der Chor-literatur als nicht gerade einfach eingestuft. Dafür enthält die Musik aber sehr viele rhythmische Elemente, minimalistische Cluster, die stets wiederkehren und es dem
Publikum einfach machen, dem dynamischen, Schlachtenlärm musikalisch nachempfundenen Geschehen zu folgen. Begleitet wurde die Musik durch Videoprojektionen (Ton- und Lichttechnik: Andreas Mendel
und Markus Wagner). Dem gesungenen Schlachtenlärm folgt Stille, Totenstille nach der Schlacht gar, bevor im gesanglich wunderschönen „Benedictus" (Solo Sabine Deutsch) Gott, der Friedenstifter,
gleich welcher Religion gepriesen wird.
Eine Schwierigkeit des Stückes, die weniger im musikalischen als vielmehr in religiösem-politischen Gehalt steckt, umschifften die Rülzheimer elegant. Jenkins hat
das Stück um die Jahrtausendwende erklärtermaßen vor dem Hintergrund der Kriege auf dem Balkan geschrieben. Und weil es dort eben auch blutige
Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems gab, hat Jenkins im zweiten Stück die zentrale christliche Glaubensformel „Herr erbarme Dich" und das muslimische Glaubensbekenntnis „Gott ist
groß" im Sinne „des Friedens, der Toleranz und der Gerechtigkeit", so das Leitthema der Auftragskomposition, gleichberechtigt nebeneinander gestellt.
Der kritische Moment betrifft nur zwei Minuten von rund 75. Aber jene zwei Minuten haben es in sich. In der Hauptstadt musste die Aufführung im Berliner Dom Anfang
November abgesetzt werden, weil der Kirchenvorstand sich das muslimische Glaubensbekenntnis nicht in einem geweihten katholischen Gotteshaus vorstellen konnte. Auch in anderen Städten gab es
Einschränkungen, wenngleich das Stück in Deutschland durchaus schon in katholischen Gotteshäusern komplett gesungen worden ist.
In Rülzheim wurden die kritischen Text- und Melodiezeilen einfach weggelassen. Sie fielen der dramaturgisch-musikalischen Bearbeitung und den damit ver-bundenen
notwendigen Kürzungen zum Opfer, wie Chorleiter Heinz Kern erklärte.
Der Erleichterung und der Freude der Chorvorsitzenden Gisela Hengen tat die inhaltliche Kürzung nach dem Konzert keinen Abbruch. „Wir sind überzeugt, heute etwas
Großartiges geleistet zu haben", sagte sie. Der Schlussapplaus gab ihr Recht und ebenso Landrat Fritz Brechtel, der nach der Aufführung als Schirmherr eine zusätzliche Spende
hinterließ.
Nicht ausgeschlossen ist, dass das fulminante Stück noch mehrfach aufgeführt wird, sofern die Begeisterung, die Rahmenbedingungen und die Finanzen stimmen und auch
die Sänger bei der Stange bleiben, deutete Chorleiter Kern an. (prw)